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Einkommensungleichheit nimmt zu
02|04|2012



Altersarmut ist längst kein Hirngespinst mehr.

Mehr junge Erwachsene im Niedriglohnsektor beschäftigt

Die Einkommensungleichheit in Deutschland hat seit der Jahrtausendwende signifikant zugenommen. Zwar liegt Deutschland im Niveau im Mittelfeld aller OECD-Länder, doch die Spanne zwischen Arm und Reich öffnet sich hierzulande überdurchschnittlich schnell.

Immer mehr junge Erwachsene arbeiten im Niedriglohnsektor, nicht einmal jeder Zweite schafft innerhalb von fünf Jahren den Aufstieg auf ein höheres Einkommensniveau. Die Einkommensungleichheit würde durch eine radikale Vereinfachung des deutschen Steuersystems, wie sie Paul Kirchhof vorschlägt, verschärft werden: Die bestverdienenden zehn Prozent würden begünstigt, die Menschen mit mittleren Einkommen belastet.

Um die Ungleichheit bei den Vermögen zu reduzieren, wird in letzter Zeit wieder verstärkt über eine Vermögensteuer diskutiert. Sie belastet gezielt die reichsten Menschen und könnte, abhängig von der Höhe des Freibetrags und dem Steuersatz, ein jährliches Steueraufkommen zwischen 9,4 und 14,8 Mrd. Euro bringen. Im neuen Vierteljahresheft zur Wirtschaftsforschung legt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung [DIW Berlin]  mehrere empirische Studien zur Entwicklung der Einkommensungleichheit in Deutschland und zu Modellen des sozialen Ausgleichs vor.

Die Einkommensungleichheit in Deutschland erreichte 2006 ihren bisherigen Höchststand und verharrt seitdem auf diesem hohen Niveau. Der Gini-Koeffizient, ein Maß für die Einkommensungleichheit, liegt hierzulande bei 0,29 - ein Gini-Koeffizient von 1 würde vollkommene Ungleichheit signalisieren.

Auch das Armutsrisiko in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen: Jeder Siebente in Deutschland verfügt über weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens.

"Beide Indikatoren zeigen deutlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland markant auseinander gegangen ist", sagen Jan Goebel und Markus Grabka.

Die Wissenschaftler am DIW Berlin haben die Entwicklung von Einkommensungleichheit und Armutsrisiko in Deutschland untersucht. Besonders betroffen von dem steigenden Armutsrisiko seit der Jahrtausendwende sind Kinder, Jugendliche und jungen Erwachsenen bis 29 Jahren.


Daniel Schnitzlein [DIW Berlin] und Jens Stephani [Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB Nürnberg] haben untersucht, wie gut jungen Erwachsenen im Niedriglohnsektor der Aufstieg gelingt. Dabei schauen sie sich gezielt die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 35 Jahre an, die weniger als zwei Drittel des Medianlohns aller Beschäftigten verdienen. "Der Anteil der jungen Erwachsenen, deren Stundenlohn unterhalb der Niedriglohnschwelle liegt, steigt seit Mitte der 90er", sagt Schnitzlein. 2010 war es fast jeder dritte, 1995 war es knapp jeder Fünfte. Rund 40 Prozent der jungen Geringverdiener gelingt der Aufstieg. Für sie alle gilt: Je höher der Bildungsabschluss, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, aus dem Niedriglohnsektor aufzusteigen. Unabhängig vom Bildungsabschluss haben Frauen jedoch schlechtere Chancen, dem Niedriglohnsektor zu entkommen, als Männer.

Andreas Peichl [Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, IZA] analysiert mit einem Forscherteam, wie sich die Vorschläge von Paul Kirchhof für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems auf die Einkommensverteilung auswirken würden. Kirchhof hat im Sommer 2011 seinen Vorschlag eines niedrigen einheitlichen Grenzsteuersatzes von 25 Prozent wieder aufgegriffen. Dies würde laut Peichl sehr problematische Auswirkungen auf den Staatshaushalt sowie die Verteilung der Einkommen haben: Er berechnet die Einnahmeausfälle für die öffentlichen Haushalte mit rund 20 Milliarden Euro, würden Kirchhofs Vorschläge Realität. Vom niedrigeren Grenzsteuersatz würden nur die obersten zehn Prozent mit dem höchsten Einkommen profitieren. Die Mittelklasse hingegen würde deutlich schlechter gestellt werden.

In letzter Zeit nimmt auch die Diskussion über eine Wiedereinführung der Vermögensteuer wieder Fahrt auf.

Stefan Bach, Steuerexperte am DIW Berlin, hat untersucht, wie stark eine Vermögensteuer zur Umverteilung von Vermögen in Deutschland beitragen kann. Auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels [SOEP] des DIW Berlin, eine repräsentative Umfrage unter rund 20.000 Menschen, und Daten zu den sehr reichen Familien in Deutschland hat Bach verschiedene Szenarien berechnet: So wären bei einer Vermögensteuer mit einem persönlichen Freibetrag von 1 Million Euro und einem Kinderfreibetrag von 250.000 Euro rund 400.000 Personen steuerpflichtig, das entspricht den reichsten 0,6 Prozent der Bevölkerung. Bei einem Steuersatz von 0,5 Prozent könnte ein jährliches Steueraufkommen von 9,4 Mrd. Euro entstehen. "Inzwischen gibt es neue Bewertungsverfahren für Grund- und Betriebsvermögen, und die Steuerflucht von Kapitalanlagen ins Ausland ist zurückgegangen", sagt Bach. Beides erleichtere die Wiedereinführung einer Vermögensteuer in Deutschland, die seit 1996 nicht mehr erhoben wird.

Das neu erscheinende Vierteljahresheft zur Wirtschaftsforschung mit dem Titel "Ungleichheitsentwicklung und Verteilungsspielräume" fasst die oben vorgestellten Studien und weitere Aufsätze zum Thema zusammen. So beschäftigt sich u.a. Michela Coppola [Munich Center for the Economics of Aging, MEA] mit den Vermögensaussichten der sogenannten Babyboomer, die heute zwischen Mitte 40 und Mitte 50 sind. Deren bislang angespartes Nettovermögen wird voraussichtlich nicht reichen, um ihren Lebensstandard auch im Rentenalter vollständig zu gewährleisten.

Joachim Merz und Tim Rathjen [Leuphana Universität Lüneburg] gehen der Frage nach, über wieviel Einkommen Selbständige in Deutschland verfügen und betrachten nicht nur den finanziellen Aspekt, sondern als zusätzlichen Wohlfahrtsindikator auch deren verfügbare Zeit. Im Vergleich mit allen Erwerbstätigen schneiden Selbständige sowohl im Hinblick auf Einkommensarmut, Zeitarmut als auch auf die Verknüpfung von beiden schlechter ab: Selbständige sind häufig nicht in der Lage, ihr Freizeitdefizit infolge langer Arbeitszeiten durch ihr Einkommen zu kompensieren.

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung [DIW]


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