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Tarifeinheitsgesetz: Offener Brief an Ralf Stegner
27|05|2015



Vielleicht bald Bilder aus vergangenen Tagen.

Die TAZ vom Pfingst-Wochenende kommentiert das von der SPD eingebrachte und im Bundestag mit erheblichen Kontroversen durchgeboxte Tarifeinheitsgesetz mit einer eindrucksvollen Karikatur zur "Politik nach Namen"

Nach den bewährten Riesterrente und Hartz 4 kreiert die SPD nun die Lex Weselsky!

Umso größer ist mein Erstaunen über Deine Verteidigungs-Philippika des Tarifeinheitsgesetzes im Deutschlandfunk am 23.Mai. Ist dies das Markenzeichen Eurer Ende letzten Jahres mit großem Öffentlichkeitswirbel ins Leben gerufenen Magdeburger Plattform "Linker Flügel soll wieder schlagen"?

Dass dieses Tarifeinheitsgesetz, versehen mit der Handschrift beider Tarifparteien – Deutscher Gewerkschaftsbund [DGB] und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände [BDA] – von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles eingebracht wurde, ist ihrer Auffassung von der Rolle als Kabinettsmitglied in der Großen Regierungskoalition geschuldet. Dass maßgebliche Vorsitzende der DGB Gewerkschaften das Tarifeinheitsgesetz befördern, ist aus ihrer Interessenlage als mächtige und erfolgreiche Tarifparteien durchaus nachvollziehbar. Allerdings gibt es hierzu, wie Du sicherlich weißt, unterschiedliche Einschätzungen, wobei gerade die vor allem von der Konkurrenz der Spartengewerkschaften betroffene Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und auch andere kleinere DGB Gewerkschaften eine abweichende Auffassung vertreten.

Tarifeinheitsgesetz als Bumerang

Zu Recht warnen sie vor den negativen Folgewirkungen einer derartigen gesetzlichen Kodifizierung des Tarifrechtes. Wenn erst einmal der grundgesetzlich verbriefte Anspruch auf Tarifautonomie nicht mehr wie bisher durch die Tarifparteien selbst und Richterrecht geregelt werden, sondern durch den Gesetzgeber, ist der Weg in Reglementierungen und Einschränkungen des Streikrechtes nicht mehr weit. Wohin die Reise dann gehen wird, machen die Forderungen aus Wirtschaft und CDU deutlich. Tarifautonomie und Streikrecht sollen eingeschränkt werden- insbesondere durch lange Zeiten der Vorankündigung, Zwangsschlichtungen oder Zulässigkeit von Streiks erst als "Ultima Ratio". Deine wiederholten Beteuerungen, dies sei mit der SPD nicht zu machen, klingen eher wie das "Pfeifen im Walde". Wie sollen denn die dafür erforderlichen politischen Mehrheiten innerhalb und außerhalb der SPD in der Zukunft sichergestellt werden? Die Umfragewerte der SPD dürften jedenfalls zu Optimismus wenig Anlass geben.

Dass Du als erklärter Exponent des "linken Flügels" der SPD in den Chor der Rechtfertigung des Tarifeinheitsgesetzes lautstark einstimmst, lässt mich an der Zukunftsfähigkeit der SPD erheblich zweifeln. Dies gilt insbesondere, wenn Du als besonders wichtig hervorhebst, dass die Gewerkschaften und Arbeitnehmer in den vergangenen fünf Jahrzehnten mit dem Prinzip „Ein Betrieb- eine Gewerkschaft“ bis zur Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit durch das Bundesverfassungsgericht 2010 gut gefahren seien. Außerdem fülle das Tarifeinheitsgesetz eine Gesetzeslücke, wie vom Bundesverfassungsgericht angemahnt.

Erosion der Tarifautonomie

Ich hatte während meiner 25-jährigen Mitgliedschaft im Bundesvorstand der SPD meine Aufgabe auch immer darin gesehen, meinen Beitrag zur Anpassung unserer SPD Politik an die veränderten Wirtschafts- und Sozialbedingungen im Interesse der Arbeitnehmer zu leisten. Dabei ist seit Jahren eine zunehmende Erosion der Tariflandschaft und des Normalarbeitsverhältnisses erfolgt. Auch Tarifautonomie und Tarifpolitik können hieran nicht vorbeigehen. Tarifpluralität kann durchaus hilfreich sein, um Arbeitnehmern in den personenbezogenen Dienstleistungen mit unfairer Entlohnung und Arbeitsbedingungen eine wirksame gewerkschaftspolitische Interessenvertretung zu ermöglichen.

Dem Bundesverfassungsgericht ist somit positiv anzurechnen, dass es mit seiner Entscheidung vom Juni 2010 zur Akzeptanz der Tarifpluralität die Zivilcourage aufgebracht hat, auch auf diese gravierenden Veränderungen zu reagieren. Die bereits angekündigten Klagen verschiedener Gewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz werden die Zweifel an der Politik der SPD eher noch weiter vertiefen.

Dabei sind leider gerade in der rot-grünen Regierungskoalition unter Ex- Bundeskanzler Gerhard Schröder wesentliche Arbeitnehmerrechte durch Riesterrente, Hartz Gesetze und Agenda 2010 unter die Räder geraten. Ich hatte den Eindruck, dass wir in der SPD gemeinsam bemüht waren, erforderliche Korrekturen auf den Weg zu bringen. Die in der Großen Regierungskoalition von der SPD durchgesetzten Rentenpakete sowie der gesetzliche Mindestlohn sind notwendige, wenn auch nicht hinreichende Meilensteine auf diesem steinigen Weg. Vor allem ist es nach wie vor nicht gelungen, die Spaltung der Gesellschaft umzukehren.

Der renommierte Arbeitsrechtler Professor Wolfgang Däubler sieht in diesem Gesetz den "denkbar folgenschwersten Eingriff in Art. 9 GG, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot selbst übertroffen werden würde". Zu Recht wird darauf verwiesen, dass mehr Fragen als Antworten entstehen, wenn im Konfliktfall konkurrierender Tarifverhandlungen festgestellt werden soll, wer die Mehrheit der Mitglieder in einer bestimmten Berufsgruppe in einem Betrieb vertritt. Ungeklärt ist zudem, ob es verfassungsgemäß ist, wenn von Beschäftigten die Offenlegung ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft verlangt wird.

Faire Löhne und Arbeitsbedingungen im Dienstleistungsbereich

Wenig überzeugend ist Deine Behauptung, das Tarifeinheitsgesetz sei notwendig, um zu verhindern, dass sich Gewerkschaften untereinander streiten. Dies nütze nur den Arbeitgebern und schade den Arbeitnehmern. Wie die von den Spartengewerkschaften – vom Marburger Bund bis zur Lokführergewerkschaft GdL- mit harten Arbeitskämpfen durchgesetzten Tarifverträge zeigen, ist durchaus eine Verbesserung von Lohnsteigerungen und Arbeitsbedingungen durchgesetzt worden.

Selbst der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellt in seinem Jahresgutachten 2010/2011 fest, dass sich "verschiedene Berufsgruppen von den DGB Gewerkschaften nicht [mehr] hinreichend vertreten "fühlten," wozu der Konzentrationsprozess der Gewerkschaften ... beigetragen haben dürfte."

Dabei mussten und müssen selbstverständlich auch die Spartengewerkschaften lernen, dass trotz der Schlüsselstellung der von ihnen vertretenen Berufsgruppen – seien es Krankenhausärzte, Piloten oder Lokführer – die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Dabei haben sie ganz besonders darauf Rücksicht zu nehmen, dass bei Arbeitskämpfen große Teile der gar nicht unmittelbar beteiligten Bevölkerung betroffen sind. Jedes Überziehen der eigenen Machtansprüche wird nicht nur Verärgerung in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den eigenen Mitgliedern provozieren. Damit müssen sich derzeit auch die GdL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky auseinandersetzen.

Durch das Tarifeinheitsgesetz wird diesen notwendigen Anpassungsprozessen im Interesse vieler Arbeitnehmer in den Dienstleistungsberufen ein Riegel vorgeschoben. Dies erschwert die notwendigen Strukturveränderungen zu fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen in den Dienstleistungsberufen. Hier gibt es jahrzehntelange Nachholbedarfe von der Tarifeinstufung über Lohnstrukturen und Lohnsteigerungen bis zu Arbeitszeiten, Schichtplänen und dem betrieblichen Personalmanagement einschließlich der Qualifizierung und beruflichen Entwicklung. Gerade diese Berufe und die in ihnen Beschäftigten nehmen an Bedeutung erheblich zu. Ausschlaggebend hierfür sind: Globalisierung und Demografie, aber auch Veränderung der Gesellschaft durch Diversifizierung von Bereichen und Formen der Lebensgestaltung. Hier ist die SPD gefordert, geeignete Antworten zu suchen. Dies erfordert auch die notwendige Anpassung im Arbeitsrecht und der Tarifpolitik.

Quelle: Ursula Engelen-Kefer


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