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Präsident Trump – wir sind Zeugen einer Zeitenwende
10|11|2016



"Wer regiert in den USA wirklich?" müsste es heißen.

Es war eine Wahl zwischen Pest und Cholera und die Pest hat knapp gewonnen.

Der Sieg Donald Trumps ist jedoch nicht überraschend und seine Wähler sind nicht nur durchgeknallte Rednecks. Es ging bei dieser Wahl auch nicht um "links" oder "rechts". Trump hat es vielmehr geschafft, sich selbst als Kandidaten zu inszenieren, der einen Feldzug gegen das Politik-Establishment führt. In einem Land, in dem die etablierte Politik abgewirtschaftet hat, nur noch 9% der Bevölkerung hinter dem gewählten Kongress stehen und auf Seiten der Demokraten mit Hillary Clinton die Personifizierung des politischen Establishments zur Wahl stand, hatte Trump am Ende die besseren Karten. Sicherlich werden wir in den nächsten Tagen unzählige hämische, hochnäsige und moralinsaure Kommentare aus unseren Medien und der deutschen Politik hören. Dabei sollten wir aber lieber innehalten. Nach dem Brexit ist der Sieg Trumps nun bereits der zweite Wendepunkt der jüngeren Geschichte. Und auch Deutschland befindet sich mitten im Transformationsprozess.

Die Rache der Abgehängten?

Na klar, als linker, liberaler Intellektueller kann man einem Wahlsieg Donald Trumps erst einmal wenig abgewinnen. Der Sieg ist jedoch, so weh dies bei der Analyse tut, folgerichtig. Jahre-, wenn nicht gar jahrzehntelang wurde eine Politik gegen die wenig schillernde Mehrheit der Bevölkerung gemacht und die Medien taten ihr Bestes, um mit Brot, Spielen und Meinungsmache den immer größeren Spalt zu überbrücken. Dass dies nicht endlos klappt, sollte jedem klar sein. Ernsthafte Angebote von der politischen Linken wurden ausgeschlagen. Nun hat die politische Rechte die Deutungshoheit über den Stammtischen und das Establishment ist schockiert. Selbst schuld!

Am Ende waren es die ehemaligen Industriestaaten im Norden der USA, die den Ausschlag bei der Auszählung der Stimmen gaben. Ohio, Michigan und Wisconsin wählten mehrheitlich Trump. Was früher der wirtschaftliche Motor der USA war, wird heute ironisch als der "Rost-Gürtel" [rust belt] bezeichnet und steht symbolisch für den Abstieg der alten Industriemacht USA. Hier hat man vom Wirtschaftswachstum der Obama-Ära nichts mitbekommen. Im Gegenteil. Hier sind die USA das Land der Hoffnungslosen.

Die Demokraten haben spiegelbildlich in den Staaten besonders gepunktet, in denen die USA ein modernes Land sind, in denen die Absolventen der teuren Elite-Universitäten Unternehmen gründen und der Technologie- und Dienstleistungssektor seine Zentren hat. Hier ist man voll im 21. Jahrhundert angekommen, denkt postmaterialistisch und macht sich mehr Gedanken über LGBT-Rechte und politische Korrektheit als über Chancengleichheit. Die gestrige Präsidentschaftswahl ist somit auch ein Zeichen eines Landes, das in zwei Teile zerbricht, das förmlich zerrissen ist. Die Zahl der Verlierer ist jedoch deutlich größer als die Zahl der Gewinner und so ist es eigentlich kein Wunder, dass man mit einem clintonschen "Weiter so! Wir schaffen das!"nicht abräumen kann.

Warum Trump?

Trump ist keine These. Er ist eine Antithese; die Reaktion auf eine politische Entwicklung, die von einem großen Teil der Bevölkerung als Fehlentwicklung angesehen wird. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer und die Mittelschicht rutscht Stück für Stück nach unten ab? Produktive Jobs wandern mehr und mehr in Niedriglohnländer ab? Die Macht der Banken und großen Konzerne nimmt von Tag zu Tag zu? Die Politik schert sich nur noch um das eine Prozent ganz oben und hat die restlichen 99 Prozent aus dem Blick verloren? All dies sind Fragen, die man bei kritischer Analyse bejahen muss. All dies sind jedoch auch Fragen, auf die die traditionelle Politik keine Antworten liefert. Mehr noch: All dies sind Probleme, die von der traditionellen Politik direkt und indirekt verursacht wurden. Wen aber wählen, wenn die traditionelle Politik nicht die Antwort, sondern das Problem darstellt?

Sind diese Einschätzungen der Trump-Wähler wirklich so falsch? Ich meine nein. Dies- und jenseits des Atlantiks hat sich die Politik von den Interessen der Mehrheit verabschiedet. Dies- und jenseits des Atlantiks war die Schlagzahl, mit der eine kleine, liberale „Elite“ die Gesellschaft modernisiert hat, zu hoch und die Zahl derer, die dabei nicht mitkamen, zu groß. Man hat das Land an der Mehrheit der Bürger vorbeiregiert. Nun schlägt das Pendel zurück.

Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, in der die Mehrheit des Volkes die Entscheidungen trifft – so zumindest in der Theorie. In der Praxis wird Politik jedoch all zu oft von einer kleinen Minderheit für eine kleine Minderheit gemacht. Im politischen Dialog werden dabei auch mehr und mehr ausschließlich die Minderheiten angesprochen. Welcher Politiker wagt es denn, den weißen Mann ohne Hochschulabschluss direkt anzusprechen?

Das politische Amerika hat abgewirtschaftet. Die Menschen haben Trump nicht gewählt, weil er ein so kluges Programm hat, sondern weil sie das politische Establishment verachten und Trump der Mann ist, mit dem man nach einer amerikanischen Redensart einen Schraubenschlüssel ins Getriebe wirft, also größtmöglichen Schaden anrichtet. Die Wahl war auch eine Rache am politischen System, dem man nicht mehr zutraut, die Interessen der Mehrheit zu vertreten.

Nun bloß keine Wählerbeschimpfung!

Man sollte es sich nicht zu einfach machen und nun Wählerbeschimpfung betreiben. Trump-Wähler sind nicht per se dumm. Natürlich gibt es unter seinen Wählern auch Menschen, die dumm sind oder ihn aus falschen Gründen wählen. Dies ist jedoch ein Symptom und nicht die Ursache. Die Ursache ist vielmehr das Ergebnis einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik, die viele Verlierer und nur sehr wenige Gewinner kennt. Dass sich bei den Verlierern ein, mal mehr, mal weniger konkretes Unbehagen einstellt, ist verständlich.

Der moderne Protest scheint sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks ein Protest zu sein, der von der politischen Rechten dominiert wird. Die politische Linke hat es "im Guten" probiert, doch die offene Hand, die sie dem Establishment anbot, wurde ausgeschlagen. Und für die Schmutzarbeit an den Stammtischen ist die Linke nun mal nicht gemacht. Wahrscheinlich ist sie selbst zu intellektuell, zu politisch korrekt und zu elitär, um populistisch zu werden und die Steilvorlagen zu verwandeln.

Machen wir uns also nichts vor: Wenn die Politik auch weiterhin am Volk vorbeiregiert, werden wir auch in Europa schon bald "unsere" Trumps bekommen. Gerade in Deutschland sollten wir daher auch mit Häme sehr vorsichtig sein. Haben wir Ronald Barnabas Schill schon vergessen? Den trumpesken Richter Gnadenlos, der in Hamburg aus dem Stand rund 20 Prozent der Wählerstimmen bekam? Und was unterscheidet einen Horst Seehofer eigentlich von Donald Trump? Auch die Umfrage- und Wahlerfolge der AfD lassen erahnen, wie nah wir hier in Deutschland den USA sind. Sehr viele AfD-Wähler wählen die Partei nicht, weil sie rechts sind oder was gegen Ausländer haben, sondern weil die AfD es – auch dank Hilfe der Medien – geschafft hat, sich zur Anti-Establishment-Partei zu stilisieren. Wir sind Zeugen einer Zeitenwende. Man braucht diesseits des Atlantiks nicht allzu viel Phantasie, um sich ausmalen zu können, was hier passiert, wenn die Politik nicht schleunigst eine Kehrtwende vollzieht.

Wird nun alles anders?

Nein. Es ist jedoch absehbar, dass in den USA ein konservatives Rollback stattfinden wird. Die Leidtragenden sind die Minderheiten, egal ob es sich nun um Schwarze, Latinos oder die LGBT-Community handelt. Und auch in puncto Gleichberechtigung ist der Sieg Trumps sicher keine gute Nachricht. Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass Trump nun die flotten Sprüche aus dem Wahlkampf 1:1 umsetzt. Ich lege mich fest: Eine Mauer an der mexikanischen Grenze wird es ebenso wenig geben wie ein Einreiseverbot für Muslime.

Außen- und sicherheitspolitisch ergeben sich durch den Sieg Trumps sogar Chancen. Trump will bessere Beziehungen zu Russland und es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich die Ost-West-Beziehungen durch den Sieg Trumps deutlich verbessern. Die Gefahr, dass aus dem neuen kalten Krieg ein heißer Krieg werden könnte, ist durch die Wahl merklich gesunken. Und auch für die Krisenregionen im Nahen und Mittleren Osten ist der Sieg Trumps sicher keine schlechte Nachricht. Dass Trump eher auf Isolationismus als auf Interventionismus setzt, hat er mehrfach klargemacht. Die Transatlantiker, NATO-Strategen und Falken werden heute Kopfschmerzen haben. Wie wär´s mit einer Prise Antiamerikanismus?

Man darf jedoch – im Guten, wie im Schlechten – nicht vergessen, dass der "Anti-Establishment-Präsident" künftig gegen einen Kongress und einen Senat regieren wird, der mit überwältigender Mehrheit mit Kandidaten des Establishments besetzt ist. Schon während des "Budget-Streits" haben Kongress und Senat gezeigt, dass der mächtigste Mann der Welt ohnmächtig ist, wenn man ihm den Haushalt einfriert. Sollte Trump es mit seinem "Anti-Establishment-Kurs" also ernst meinen, ist hier kommender Ärger vorprogrammiert. Aber warten wir lieber ab. Wahrscheinlich wird Trump gar nicht so viel anders machen als seine Amtsvorgänger. Flotte Sprüche sind im US-Wahlsystem schließlich nötig, um sich in den Vorwahlen durchzusetzen. Ob Trump auch nur eine der Forderungen aus seinem Wahlkampf umsetzt, ist vollkommen offen. Nur was passiert, wenn die frustrierten Wähler merken, dass auch ein Trump am Ende des Tages zum Establishment gehört?

Quelle: nachdenkseiten | Jens Berger



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