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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde: Sicherungsverwahrung 07|10|2011
Macht die Sicherungsvewahrung dei Welt sicherer und ist sie in jedem Fall gerechtfertigt?!
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die zeitlich befristete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einem sog. „Altfall“
Der mehrfach einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer wurde im Jahr 1994 wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zugleich wurde gegen ihn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die zum Zeitpunkt seiner Verurteilung geltende zehnjährige Höchstfrist für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde zum 31. Januar 1998 aufgehoben.
Der Wegfall der Befristung betraf auch alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neureglung bereits angeordneten und noch nicht erledigten Fälle der Sicherungsverwahrung [sog. „Altfälle“]. Im April 2009 befand sich der Beschwerdeführer seit zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung. Auf der Grundlage zweier Sachverständigengutachten, die eine bei dem Beschwerdeführer diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung und ein sehr hohes Rückfallrisiko bescheinigten, ordnete das Landgericht im Juni 2010 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 alle Vorschriften über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit dem Freiheitsgrundrecht erklärt. Darüber hinaus hat es die Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die zehnjährige Höchstfrist hinaus auch für unvereinbar mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot erklärt. Nach den getroffenen Übergangsregelungen darf in diesen „Altfällen“ die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes [ThUG] leidet [vgl. Pressemitteilung Nr. 31/2011 vom 4. Mai 2011].
Im Juni 2011 hob das Oberlandesgericht auf der Grundlage weiterer Sachverständigengutachten den angefochtenen Beschluss des Landgerichts auf und ordnete die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherungsverwahrung zum 19. Dezember 2011 an. Ausweislich der aktuellen Gutachten leide der Beschwerdeführer nicht an einer psychischen Störung i. S. d. § 1 Absatz 1 Nr. 1 ThUG. Diese liege erst vor, wenn die psychische Störung das Gewicht einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne der gesetzlichen Regel zur Schuldfähigkeit [§§ 20, 21 StGB] erreiche. Das sei hier nicht der Fall. Die Freilassung des Beschwerdeführers werde auf den späteren Zeitpunkt bestimmt, um die Durchführung der erforderlichen Entlassungsvorbereitungen zu ermöglichen.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil sie dem Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht und dem ihm zukommenden Vertrauensschutz nicht hinreichend Rechnung tragen, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Der Beschluss des Landgerichts über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers genügt nicht den besonderen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung an eine Fortdaueranordnung in den sog. “Altfällen“ stellt.
2. Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinen o. g. verfassungsmäßigen Rechten. Nachdem das Gericht die besonderen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts verneint hat, hätte es die unverzügliche Entlassung des Beschwerdeführers anordnen müssen, statt diese um mehr als sechs Monate hinauszuschieben
Nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 getroffenen Übergangsregelungen haben die Vollstreckungsgerichte in den sog. „Altfällen“ aufgrund der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs das Vorliegen der Voraussetzungen der Fortdauer der Sicherungsverwahrung unverzüglich zu prüfen und - falls diese nicht gegeben sind - die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens zum 31. Dezember 2011 anzuordnen. Diese allein dem Prüfungsaufwand geschuldete Fristsetzung bedeutet nicht, dass der Entlassungstermin innerhalb des verbleibenden Zeitraums bis zum Ende des Jahres 2011 nach Ermessen zu bestimmen wäre.
Halten die zuständigen Gerichte die Unterbringungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung nicht für gegeben, haben sie die unverzügliche Entlassung der Betroffenen anzuordnen. In den sog. „Altfällen“, in denen die Unterbringung auch gegen das Vertrauensschutzgebot verstößt, kommt eine zeitlich befristete Fortdauer der Unterbringung zum Zweck der Durchführung von Entlassungsvorbereitungen daher nicht in Betracht.
Dem Resozialisierungsanspruch der Betroffenen ist in diesen Fällen, soweit im Einzelfall möglich und notwendig, durch eine dem Fehlen ausreichender Entlassungsvorbereitungen angepasste engmaschige Begleitung und geeignete Weisungen im Rahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht Rechnung zu tragen.
3. Im Hinblick auf die vom Landgericht erneut vorzunehmende Prüfung weist die Kammer zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „psychischen Störung“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG allerdings auf Folgendes hin:
Der Gesetzgeber hat mit der Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz ersichtlich eine neue eigenständige Kategorie der Unterbringung psychisch gestörter, für die Allgemeinheit gefährlicher Personen geschaffen, die das Verständnis der psychischen Störung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention aufgreift und unterhalb der Schwelle der Vorschriften zur Schuldfähigkeit anzusiedeln ist. Dementsprechend setzt der Begriff der psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG gerade nicht voraus, dass der Grad einer Einschränkung der Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB erreicht wird.
Vielmehr sind auch spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz sowie der Impuls- und Triebkontrolle unter diesen Begriff zu fassen; gleiches gilt auch für die dissoziale Persönlichkeitsstörung. Entscheidend ist hier der Grad der objektiven Beeinträchtigung der Lebensführung in sozialer und ethischer Hinsicht, der anhand des gesamten - auch des strafrechtlich relevanten - Verhaltens des Betroffenen zu bestimmen ist.
Quelle: Bundesverfassungsgericht
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