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Offener Brief an Herrn Westerwelle
15|02|2010
Der Narre ist wieder los...
Sehr geehrter Herr Minister Westerwelle,
in Ihrem Gastbeitrag für die Zeitung „Die Welt“ sagten Sie: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“. Sie sehen und fürchten in einer möglichen Erhöhung der Hartz IV-Sätze für Deutschland also eine „spätrömische Dekadenz“!
Ihr Geschichtsbild, sehr geehrter Herr Minister Westerwelle, bedarf einer Korrektur. Wären Sie mit dem für diese Äußerung notwendigen Wissen ausgestattet, wären Sie sicherlich vorsichtiger gewesen und hätten nicht die Falschen beschuldigt.
Aber dank Ihnen, wissen wir spätestens jetzt, wie Deutschland vor die Hunde geht.
Der Außenminister und FDP-Vorsitzende jetzt also auch noch Freizeit-Historiker! Anstatt die schallende Ohrfeige des Bundesgerichtshofes schamvoll hinzunehmen und sich sachlich mit der Thematik auseinanderzusetzen, attackieren Sie den Sozialstaat!
Sie vermuten also spätrömische Dekadenz in Deutschland und machen indirekt die sogenannten Hartz-IV-Empfänger dafür verantwortlich. Welche Szenen spielen sich noch vor Ihrem geistigen Auge ab?
Völlig ausgelassene Hartz IV-Empfänger, die sich für Ihrem Regelsatz von 359,- Euro kistenweise Discounter-Schampus kaufen, die auf den Dritte-Hand-Sofas der Diakonischen Werke ausgelassene Orgien abhalten, bei denen dann wohlmöglich die nächsten Generationen von Hartz IV-Empfängern gezeugt werden?
Egal wo man politisch steht und auch egal, ob man die derzeitigen Regelsätze zu hoch oder zu niedrig findet: Ihre Äußerung ist polemisch, sie ist historisch nicht korrekt und sie ist für eine Vielzahl der Menschen in unserem Land einfach nur beleidigend!
Wenn Sie überspätrömische Dekadenz in Deutschland reden wollen, sollten Sie über andere Menschen reden als die Hartz IV-Empfänger – Sie würden sehr schnell Ihre eigene Klientel beleidigen.
Geschichtlich ist übrigens nicht zweifelsfrei belegt, woran das Römische Reich letztendlich zu Grunde ging, eines aber ist zweifelsfrei sicher. Es gab eine intellektuell korrumpierte und luxussüchtige Elite.
Die aber machten lediglich ein Prozent der Bevölkerung aus. Und dieses eine Prozent teilte die Reichtümer unter sich auf – ganz sicher aber nicht die verarmte Unterschicht.
Hätten Sie von einer materiellen Dekadenz in Deutschland gesprochen, von Bankern, die sich nach einer Krise, unter der die ganze Welt leidet und die sie zu einem Großteil verursacht haben, nun wieder unverhältnismäßige hohe Boni einstreichen, Sie hätten Recht gehabt. Auch hätten Sie sinnvollerweise vom lebensfernen Dasein unserer Bundespolitiker sprechen können, von Luxuskarossen, einer ständig verfügbaren Fahrbereitschaft, von pompösen Empfängen und anderen Anlässen. Von den so überreichlich aufgetürmten und bestückten Buffets, bei denen jedem Hartz IV- Empfänger der Magen übergehen würde.
Statt sich um das Gemeinwohl zu kümmern, schaufeln Sie sich wie die Machthaber im alten Rom mit Luxus zu und das auf Kosten der Allgemeinheit.
Hätten wir denn etwas Anderes erwarten können? Sie als Chef einer Partei der Besserverdienenden, einer sogenannten Elitenpartei – die, zumindest zurzeit nach außen hin, als intellektuell verkommen erscheint. Nein, Sie machen lieber großzügige Staatsgeschenke für Minderheiten und bedienen weiterhin Ihr Klientel!
„Wehret den Anfängen“, heißt es in einem Sprichwort. Wenn wir uns dieser Anfänge noch erwehren wollen und es tatsächlich so etwas wie eine Dekadenz in Deutschland geben sollte, über die wir miteinander reden müssen, dann, sehr geehrter Herr Minister Westerwelle, ist es die Ihres Geistes, die in Ihren Worten einen schamlosen Ausdruck gefunden hat.
Sie attackieren den Sozialstaat!
Die Freien Wähler Wilhelmshaven
Quelle: Freie Wähler | Wilhelmshaven
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