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Attacke auf das Netz 10|10|2015
Werden Blogger mit einem neuen Gesetzentwurf kriminalisiert?
Ein neuer Verbrecher: Der Daten-Hehler
Für den Gesetzgebungsapparat kann es gar nicht genug Verbrechen geben: Denn wenn die bekannten Verbrechen knapp wären, wüssten weder Justiz noch Polizei was sie mit ihrer vielen freien Zeit anfangen sollten. Dort könnte man ja aus lauter Langeweile zur Jagd auf Bankster blasen. Oder darüber nachdenken, wie man den Steuervermeidungs-Gehilfen Jean-Claude Juncker vom Job des Präsidenten der Europäischen Kommission in den Knast schaffen könnte. Nein, nein, dann lieber ein neues Gesetz durch den Bundestag prügeln und endlich die Hehler ins Visier nehmen.
Wer jetzt denkt, es könnte sich um die Hehler von in Libyen geklauten Waffen handeln, die in Syrien wieder auftauchen, der liegt erneut schief. Es geht um die Daten-Hehlerei. Bravo denkt der Bürger, endlich geht es dem BND an den Kragen, der erst meine persönlichen Daten klaut und sie dann als Hehler an die NSA weitergibt. Armes Bürgerwürstchen. Es geht um "Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat" [aus dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung]. Und wer die jetzt in Umlauf bringt, der kann, gemäß dem neuen § 202 d, glatt drei Jahre kriegen. Gemeint sind Fälle wie der von Edward Snowden und die der Blogger von nebenan.
Also Snowden hat Daten, die uns alle angehen, doch nur für die Öffentlichkeit gesichert. Schon diesen Akt der Caritas Diebstahl zu nennen, ist frech. Aber es geht noch schlimmer: Wer zum Beispiel die Snowden-Daten verbreitet, der ist nach Auffassung von Heiko Maas und dem Rest der Großen Koalition ein Hehler. Es handelt sich um ein extrem spannendes juristisches Konstrukt: Da klaut einer Daten, die mit Steuergeldern hergestellt wurden und gibt sie großzügig den Steuerzahlern zurück. Der Eigentümer darf also sein Eigentum wieder in Empfang nehmen. Und das soll strafbar sein? Doch es kommt noch besser. Diebstahl, so gilt es bisher, setzt einen dinglichen Besitzerwechsel voraus. Aber die Daten sind doch nur kopiert, sie liegen immer noch auf den Rechnern, bei denen der Whistleblower seinen USB-Stick eingeführt hat. Sie sind nicht weg, sie sind nur multipliziert.
Nachdem der Wohltäter, der dem Steuerzahler seine von den Diensten geklauten Daten wiederbeschafft hat, von der Justiz kriminalisiert ist, wird die nächste Straf-Bombe gezündet: Auch wer diese Daten weiterverbreitet, gilt als Hehler. Vom Hehler wissen wir volksmündlich, dass der schlimmer ist als der Stehler. Und wer die rechtswidrig angeeigneten Daten "sonst zugänglich macht" um "einen anderen zu schädigen", faselt der neue Paragraph, der sei nun mal ein Hehler. Na klar sollte die Verbreitung der gefälschten Guttenberg-Doktorarbeit dem gegelten Fürsten der Fälscher schaden. Und natürlich sollten auch die veröffentlichen Schnüffeleien der NSA dem US-Drecks-Apparat schaden. Zugleich aber würden sie den Regierten nützen: Sie sollten schon wissen, welch aufgeblasene Nullen mit ihnen und ihren Daten Versteck spielen.
In einem ersten Entwurf des neuen Hehler-Gesetzes waren die gewöhnlichen Journalisten noch als strafbare Weitergeber von enthüllten Daten erfasst. Dass hatte sogar in der braven SPD zu hörbarem Murren geführt. Auch die Journalisten-Verbände räsonierten vernehmlich. Da hat sich unser Heiko erweichen lassen und Ausnahmen in das Daten-Hehlerei-Gesetz eingebaut. Zahnärzte, zum Beispiel, sind ausgenommen. Wenn der Herr Doktor seine digitalen Kiefer-Fotos an den Dentisten weitergibt, wird er nicht bestraft. Und dann, in diesem wunderbaren Juristen-Deutsch: "Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben", müssen auch nicht unbedingt in den Knast, wenn sie Daten weitergeben.
Das Schlüsselwort heißt "berufsmäßig". Wer also ehrenamtlich Fakten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss oder dem BND-NSA-Datendepot unter die Leute bringt, wer nicht mal was daran verdient, der ist ohnehin verdächtig in der marktförmigen Datengesellschaft und kann schon deshalb von der Strafbarkeit nicht ausgenommen werden. Noch jüngst sind Blogger der Site "Netzpolitik" erst durch heftigen öffentlichen Druck an einer Anklage wegen Landesverrats vorbei geschrammt. Sie hatten Daten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss veröffentlicht. Und während sonst das "Ehrenamt" von der Obrigkeit mit schwerem Lob beworfen wird, sind die Fälle des ehrenamtlichen Journalismus im Netz das Ziel der Nachrichtendienst-Schnüffelei und demnächst, wenn das Daten-Hehlerei-Gesetz den Bundestag passiert, auch noch strafbar.
Längst hat sich eine große Zahl von Medien-Nutzern von öffentlich-rechtlichem und privatem Einheits-Journalismus abgewandt und sucht immer häufiger im Netz nach jenen Informationen, die nicht durch den Filter professioneller Medien schwere Deformationen erfahren. Nach einer ARD/ZDF-Online-Studie nutzen etwa 3,5 Millionen Menschen Blogs als alternatives Informationsangebot. Und etwa eine Million Deutsche haben selbst schon mal in einem Blog geschrieben. Selbst wenn man die Verfasser allgemeinen Gebrabbels rausrechnet, bleibt eine beachtliche publizistische Größe. Die Druckauflage der BILD-Zeitung liegt bei knappen drei Millionen. Da sind die versammelten Blogs vergleichbar durchaus eine Macht. Und wenn die, unbezahlt und unbezahlbar zugleich, statt allgemeiner öffentlicher Lüge echte Daten und unverfälschte Wahrheiten unter die Leute bringen, dann sind sie eine Macht. Eine solche neue, fünfte Gewalt kann doch nur strafbar sein. Die Attacke auf das Netz und die unverfälschte Information soll noch in diesem Monat das trübe Licht des Bundestages erblicken.
Uli Gellermann | rationalgalerie
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