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Sven Giegold auf dem Neujahrsempfang der Grünen Friesland 09|01|2010
Sven Giegold im Gespräch vor seiner Rede.
Und es gibt sie doch, die überproportional engagierten Politiker, die trotz Parteizugehörigkeit über ihren Schatten springen können und nur über das reden, was sie auch verstehen.
Unsere Anspielung gilt den vielen prophetischen Versprechen von PolitikerInnen, die gemacht werden, damit das Fußvolk ruhig bleibt oder überhaupt erstmal eine Antwort hat, die nicht einmal stimmen muß.
Die legendäre Rede des Herrn Stoiber. wie man mit dem Transrapid zum Flughafen München kommen würde, dürfte noch jedem gut im Gedächnis sein.
Sven Giegold war als Redner zum Neujahrstreffen der Grünen in Friesland geladen und erklärte dezidiert, was es bedeutet, im EU-Parlament zu arbeiten und wie sich die Partei in Zukunft politisch aufstellen sollte. Der in der Nähe von Verden an der Aller wohnende EU Politiker hat die letzten 20 Jahre in sozialen Bewegungen verbracht und trat den Grünen vor eineinhalb Jahren bei, weil er für die ökologische und soziale Regulierung der Globalisierung streiten möchte, d. h. die Regulierung der internationalen Finanzmärkte und die Schließung der Steueroasen, Zielvorstellungen, die er bei ATTAC auch schon vertrat.
Sven Giegold ist Koordinator der Grünen im Wirtschaftsausschuss im EU-Parlament und arbeitet an der Stelle, wo derzeit die Regeln für das Finanzsystem umgebaut werden.
Er sprach an diesem Abend über seine Arbeit mit Bezug auf die gegenwärtige Politik und gab eine persönliche Einschätzung ab.
Bei einem "Blick zurück" erläuterte er, dass wir in eine tiefe Krise geschliddert sind, weil wir die Waren- und Finanzmärkte geöffnet haben ohne die sozial-ökologischen und ökonomischen Regeln gleichzeitig international abzusichern.
Der sogenannte Neoliberalismus öffnete den Menschen die Möglichkeit ihr Geld nun weltweit in den internationalen Finanzmärkten "anzulegen", und nicht wie früher üblich in der heimischen Volksbank oder Sparkasse.
Durch die sogenannte Deregulierung wurde eine riesige Finanzblase aufgebaut. Zwischen den Steueroasen [Paris, New York, London...] entstand ein Wettbewerb und wer die laschesten Regulierungsmechanismen hatte gewann Kunden und Anleger.
Spekulation hat es immer wieder gegeben, aber das schlimme ist, das die Risiken nicht von den Spekulanten bezahlt werden, sondern von den Steuerzahlern.
Ein Aufschrei in der Bevölkerung und in den Parteien fand jedoch nicht statt. Die Banken drohten sogar mit dem Zusammenbruch des Finanzsystems.
Mit 18 Milliarden Steuergeld sorgen wir derzeit dafür, dass z. B. der "Laden" Commerzbank weiterläuft.
"Weltweit sind einige Tausendmilliarden US Dollar in diese Krise an öffentlichem Geld investiert worden, was es nie wieder geben darf", so Sven Giegold.
Inzwischen wachsen die Schulden und in der EU werden die Regeln für die Staatsverschuldung [60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes] gebrochen. Deutschland wird am Ende des Prozesses bei etwa 80 Prozent herauslaufen und in anderen Ländern wie Spanien oder Griechenland sieht es noch viel schlimmer aus.
Die Steuerzahler haften für das unverantwortliche Handeln einer Minderheit unter Mithilfe der Politik, die die Regulierungsmechanismen salopp gesagt vernachlässigte. Das Versagen liegt so nicht nur auf Seiten der Banker, sondern auch auf Seiten der Politiker, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind.
Eigentlich müßten jetzt die Gesetze zur Regulierung kommen, wenn man die Globalisierung zivilisieren will.
In der EU geht es geradezu illuster zu und wenn es um die zentralen Themen geht, dann ist der Saal voll Lobbyisten der Banken, Fonds oder Versicherungen. Die Abgeordneten werden geradezu belagert, weil Interessenvertreter eine Regulierung und Finanzmarktregeln nicht haben wollen.
Der ganze Prozess ist wie ein Kampf und es ist völlig offen, wer ihn gewinnt.
Die Frage des Eigenkapitals ist von zentraler Bedeutung. In der Zeit, wo die Banken große Gewinne machten, wurden kein Eigenkapital "zurückgelegt". Anstatt Reserven zu bilden wurden die Gewinne als Dividenden ausgeschüttet und Leute haben sich damit "die Taschen vollgestopft".
Durch die Bildung von Eigenkapital sinken natürlich die Renditen und das wollen die Finanzjongleure nicht.
Das Versagen der Finanzaufsicht ist der zweite wunde Punkt im "Regulierungsgeschäft", denn die besten Regeln nützen nichts, wenn man sie nicht beachtet. Während kleine Banken von den Kontrollen regelrecht genervt sind, werden die Bankenaufseher von den großen "Playern" gegeneinander ausgespielt.
Die Grünen möchten, dass eine starke europäische Finanzaufsicht geschaffen wird, nicht ca 70 verschiedene Institutionen, wie derzeit diskutiert, für die verschiedenen Geldmärkte.
Gegen eine starke europäische Koordinierung der Finanzaufsicht wehrt sich unsere "Oberreguliererin" Angela Merkel vehement.
Der schwache Merkel-Vorschlag wurde jedoch von den Koordinatoren im Wirtschaftsausschuss des europäischen Parlamentes nicht angenommen, was zeigt, dass man im Europaparlament über Parteigrenzen hinweg sachbezogen arbeiten kann.
Sven Giegold hofft, dass sich die Bürger nicht auf eine schwache Regulierung einlassen, nur weil die Börsen wieder brummen, die Krise also anscheinend trotz zurückzuzahlender Schulden durch die Steuerzahler nicht so schlimm sein kann.
Wer die Schulden überhaupt zurückzuzahlen hat ist auch noch eine sehr interessante Frage. Eigentlich muß doch hier das Verursacher-Prinzip gelten, d. h. wer den Schaden verursacht, muß ihn auch beheben.
Dafür fordern die Grünen eine Finanzumsatzsteuer, damit in Zukunft die Schulden abgebaut werden können.
Konservative Kreise sind auch für die Finanzumsatzsteuer, nur auf globaler Ebene, was Länder wie die USA niemals zulassen werden. Das Europaparlament wäre somit verantwortlich und nicht etwaige Dritte, auf die man dann die Schuld schieben kann, wenn es z. B. mit der Installation von Regulierungsmechanismen oder der Regulierung selbst wieder nicht klappt. Nur so läßt sich sozialer Fortschritt umsetzen.
Ein weiteres Extrem ist die Steuerflucht, die durch ein Gesetz sanktioniert werden sollte, das Finanzminister Schäuble jüngst mit der Begründung wieder aufhob, dass es kein Steueroasen mehr gäbe. Transparenz, Sanktionen und automatischer Informationsaustausch werden somit wieder ausgeschlossen.
Deutschland verliert jährlich mindestens 30 Milliarden Euro durch reiche Privatpersonen und nochmals 60 Milliarden durch Steuermanipulation transnationaler Unternehmen, 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Jeder 25zigste arbeitet nur für die Steuerflucht und die Steuerkonkurrenz.
Zum Verlust dieses Geldes kommen massive Verschuldungen der Kommunen und die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Schulden machen in der Krise ist nichts ungewöhnliches, aber gleichzeitig die Steuern zu senken provoziert dauerhafte Einnahmeausfälle.
Kein Mensch übernachtet öfter in Hotels und zusätzliche Arbeitsplätze entstehen ebenfalls nicht, nur weil die Mehrwertsteuer gesenkt wird, dass beweisen Studien aus Nachbarländern wie Frankreich.
Die Steuersenkungen auf Kosten der komenden Generationen [auf "Pump"] kommen laut jüngsten Umfragen auch nicht gut bei der Bevölkerung an.
Das Geld, das somit nicht mehr in Bildung fließen kann, wird den Fachkräftemangel als weiteres Problem, erzeugen. Wichtige und innovative Bereiche wie Umwelt und Klimaschutz können so z. B. nicht weiterentwickelt werden, da nützen auch keine Milliardenaufträge aus dem Ausland für Deutsche Firmen.
Die Kopfpauschale sorgt ebenfalls für Zündsstoff, d. h. der Chef eines Unternehmens soll in Zukunft genau soviel in die Krankenversicherung einzahlen, wie eine Sekretärin.
Die kommenden Landtagswahlen in NRW sind von zentraler Bedeutung für eine eventuelle Mehrheit von Schwarz-Gelb im Bundesrat. Das muß mit aller Kraft verhindert werden, was Sven Giegold als zentrale Aufgabe seiner Partei sieht.
Das Scheitern der Klimakonferenz können wir uns ebenfalls nicht leisten, denn die Klimafolgen werden unbezahlbar werden und der EU-Abgeordnete wundert sich, dass man bei den prognostizierten Szenarien immer noch so ruhig bleibt. Das warten auf globale Konferenzen ist nicht akzeptabel und anstatt Lebens- und Konsumstil umzubauen, machen wir so weiter, wie bisher.
Zum Schluß seines Vortrags lobte der EU-Abgeordnete Werner Biehl, der von seinem Bürgermeisteramt zurücktrat, weil sich der Rat der Stadt dafür entscheid, gleich für 4 Kohlekraftwerke Platz zu schaffen, wodurch die Glaubwürdigkeit des Grünen Politikers im Rat der Stadt Wilhelmshaven schwer gelitten hätte.
Sven Giegold formulierte am Ende seiner Rede, das wir uns entscheiden können zwischen langfristigen wegweisenden sozialverträglichen Enscheidungen und der Schaffung neuer Arbeitsplätze mit einer Zukunftsindustrie und der Regulierung der Finanzmärkte oder einer kurzsichtigen Steuersenkungspolitik, die langfristig mehr Probleme schafft und die wichtigen Zukunftsfragen nicht lösen kann.
Schade, dass auch an diesem Abend unsere Vorzeigepolitiker nicht anwesend waren, denn sie hätten viel für die Zukunft mitnehmen können. Wahrscheinlich sind sie hinter verschlossenen Türen mit Konzepten beschäftigt, die Wilhelmshaven direkt aus der Krise führen werden, die Boomtown laut lokalem Heimatblatt längst nicht so stark getroffen hat, wie die "Anreiner".
War da nicht was mit Hertie, Mc Donalds, ein Hafenbau, der ins Straucheln gerät...
Wolf-Dietrich Hufenbach
Dokumentarfilmer | Wilhelmshaven
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