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Dr. Maus. ? - Eine Fall-Studie
12|02|2013



Anette Schavan dürfte ziemlich nachdenklich in ihre Gerichtsverhandlung gehen.

Aufregung im Supermarkt: eine Kundin wird vom Kaufhaus-Detektiv gestellt, ein Muttchen, grauhaarig, unauffällig, bieder.

Zwar hat sie an der Kasse eine Reihe von Waren bezahlt, aber in ihrer Tasche führt sie immerhin auch ein paar Sächelchen mit, die sie nicht aufs Laufband gelegt hatte. Die Frau verteidigt sich lauthals: das ist mir unterlaufen, ein Flüchtigkeitsfehler! Ich habe schlicht vergessen, diese Gegenstände anzugeben. Denken Sie an den Einkaufsstress, sehen Sie, welche Menge an Waren ich ordentlich gekauft habe - und Sie werden zugeben müssen, dass es sich bei den nichtbezahlten Kleinigkeiten wirklich nur um eine Bagatelle handelt.

Es ist bedauerlich, dass die Süddeutsche Zeitung [7.2.13] in den Chor jener einstimmt, die Frau Schavans betrügerische Dissertation schönreden. Ginge es um Ladendiebstahl, wären alle schnell sich einig. Niemand spräche milde von "mausen", "mopsen" oder "stibitzen" - schon das Klauen eines Camembert bei Aldi gilt vielen tatortgeschulten Bürgern als kriminell. Illegale Aneignung von geistigem Eigentum aber wird verniedlicht, als müsse man es im akademischen Raum damit nicht so genau nehmen. Statt von "betrügen" ist plötzlich nur von "schummeln" die Rede und statt von "Unterschlagung" von "Schlamperei".

Der sonst oft so scharfsinnige Heribert Prantl kreiert sogar eigens einen neuen Entschuldigungs-Begriff: gemessen an Guttenberg, der sich in seiner Dissertation zu 60% mit fremden Federn geschmückt habe, sei der Betrug der Ministerin so gering zu veranschlagen, dass er persönlich ihr, träte sie zurück, sogar den akademischen Grad beließe: "ihre Plagiate sind, wenn man von Plagiat reden mag, Mini-Plagiate."

Auch wenn man also nicht davon "reden mag", ob ein Plagiat erst bei, sagen wir 25 oder 30 % der undeklarierten Textmenge beginnt - in der Sache sollte ein seriöser Kommentator doch wenigstens die hochwahrscheinlichen Fakten zur Kenntnis nehmen. Der erste wissenschaftliche Berichterstatter der Düsseldorfer Universität sprach seinerzeit, nach sorgfältiger Analyse, von einer ebenso umfangreichen wie als vorsätzlich erkennbaren Unterschlagung von Quellen, aus denen Frau Schavan sich in ihrer Arbeit bedient habe. Und unter dem Stichwort "schavanplag" kann sich jeder Internetnutzer, auch der wissenschaftliche Laie, zumindest aus zweiter Hand mühelos ein Bild vom enormen Ausmaß jenes angeblichen Mini-Plagiats machen.

Fast schon von selbst versteht sich, dass auch eine Bildungsministerin, mit dem Plagiatserweis konfrontiert, um kein Deut anders reagiert als ihre ertappten VorgängerInnen: Empörung, Leugnung, Anwälte. Stets auch geht es bei den betrügerischen Dissertationen um die gleiche Methode: der Doktorand erschleicht sich die von einer Doktorarbeit geforderte eigene wissenschaftliche Leistung dadurch, dass er bzw. sie fremde Sätze, gegebenenfalls längere Passagen, gar ganze Seiten, wörtlich übernommen, als selbst verfasste ausgibt. Da die Promovendin bei Einreichung ihrer Arbeit "an Eides Statt" versichern muß, dass sie keinerlei andere Hilfsmittel als die angegebenen benützt hat, wird - wohlgemerkt bei einem Werk mit dem Thema "Person und Gewissen" [sic!] - nebenbei gleich noch ein Meineid mit in Kauf genommen. Noch ist das digitale Aufklärungs-Zeitalter ja nicht in Sicht.

Wird ihr Betrug aufgedeckt, so greifen die überführten TäterInnen noch immer zu jenen Ausflüchten, wie der smarte Verteidigungsminister zu Guttenberg sie einst in den öffentlichen Verteidigungs-Diskurs einführte. Von Flüchtigkeitsfehlern ist da die Rede, von Ungenauigkeit, Schlampigkeit usw., vom blossen Vergessen der sog. Gänsefüßchen, von "früher" angeblich anderen Maßstäben - besonders gern auch von der riesigen Seitenzahl der Arbeit, angesichts derer doch, sagen wir: fünfzehn oder zwanzig "Zitierfehler" eine Petitesse darstellten. [Womit, ganz nebenbei, wohlfeil auf die leichte Beeindruckbarkeit von Fritz und Lieschen Müller durch den Mythos von Wissenschaft spekuliert wird: was hat dieser Mann / diese Frau da einfach an gigantischer Fleißarbeit geleistet - nur damit ihm/ihr die Neidhämmel, Beckmesser und politischen Feinde winziger Versäumnisse wegen jetzt am Zeug flicken!]

Nun zieht sich durch den Leitartikel der "Süddeutschen" ebenso wie durch die anderen Berichte der Zeitung zum Thema ein rhetorisches Bild, das sich auch in der allgemeinen Debatte einiger Beliebtheit erfreut. Sein Beschönigungs-Potential scheint es mir wert, dass man es etwas genauer unter die Lupe nimmt. "Die Ministerin hat", sagt Heribert Prantl, "handwerkliche Fehler gemacht…" "Annette Schavan hat in ihrer Doktorarbeit", so der Journalist später noch einmal, "gegen handwerkliche Regeln der Wissenschaft verstoßen."

Ist es ein "handwerklicher Fehler", wenn ich reihenweise ganze Sätze von anderen Autoren abschreibe und sie, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen, als meine eigenen ausgebe? Ist es ein Verstoß gegen "handwerkliche Regeln der Wissenschaft", wenn ich Sigmund Freud [und andere] so zitiere, dieses Mal mit Gänsefüßchen, als hätte ich sein Werk selbst gelesen [also insbesondere mit Seitenangaben] – und dabei verschweige, dass ich die Sätze [nachweislich!] nur von einem anderen Autor abgeschrieben habe, der seinerseits Freud im Original studierte? Hat die im Supermarkt erwischte Kundin nur einen handwerklichen Fehler begangen? [Ja, vielleicht – wenn ich, wie Taschendiebe, Klauen als Handwerk auffasse.]

Nein, mit Handwerk hat all das nicht das geringste zu tun. Die systematische Aneignung fremden Eigentums, selbstverständlich auch des geistigen, ist Betrug. Mit dem Tischler, der einen Stuhl leimt und dabei auch mal einen Fehler macht [falscher Leim, falscher Span], greift Herr Prantl zwar vermutlich unbewusst, aber doch nicht zufällig auf einen vorindustriellen Berufsstand zurück, dem die meisten von uns geneigt sind, Redlichkeit zuzubilligen - wenn man so will: Berufsehre. An den ehrlichen Meister Anton sollen wir denken und es mehr oder minder als Versehen entschuldigen, wenn Frau Schavan uns leimt. Kaum zufällig auch beruft die Betrügerin selbst sich dreist auf ihre "Ehre", die der Betrugsvorwurf ihr abspreche.

Handwerk in der Wissenschaft, jedenfalls in dem Sinn, wie er in der Schavan-Debatte herangezogen wird, betrifft zunächst äusserliche Formen des Zitierens, Konventionen, Floskeln: "op.cit." oder "a.a.O." für Beziehungen auf ein bereits früher zitiertes Werk, Verweise wie "vgl." [vergleiche], Bemerkungen wie "sic!" [tatsächlich so!]. Als Kern des Handwerks aber lernt der angehende Wissenschaftler natürlich insbesondere, wie man maßgebliche Literatur auf dem Fachgebiet ermittelt und von unwichtiger unterscheidet, wie und in welchem Ausmaß man ihre Standpunkte referiert, Behauptungen überprüft, Argumente abwägt, selbst Schlüsse zieht - und vieles andere dergleichen. Dazu gehört ebenso die Korrektheit, mit der man fremde Positionen, insbesondere gegnerische, neutral referiert. So berührt Handwerk nicht immer, aber immer wieder auch das geistige Telos von Wissenschaft.

Alles wissenschaftliche Arbeiten jedoch, tradierterweise am deutlichsten in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ist fundamental einem einzigen Ziel verpflichtet: der Wahrheit. Sie ist nicht nur das Erkenntnisziel, sondern zugleich das ethische Medium der Wissenschaft. Selbstverständlich fordert sie von jenen, die sich ihr verpflichtet fühlen, ein gleichermaßen hohes Vermögen an Wissen ebenso wie an Handwerk. Sie jedoch, die Wissenschaft, setzt bei ihren Adepten vor allem eine Tugend elementar voraus: die der Wahrhaftigkeit.

Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit - beides ist in der Wissenschaft nicht voneinander zu trennen. Aber natürlich sind beide Werte auch, wie im übrigen Leben, umstellt und durchsetzt von ihren Gefährdungen: durch Irrtum, Verblendung, Ideologien oder Moden, durch Oberflächlichkeit und Lüge. Als bedenklicher Vektor tritt dazu die speziell in Deutschland traditionell verbreitete Titelsucht [gegen die man von jeher vergeblich geltend gemacht hat, dass der "Dr." nur ein akademischer Grad ist, so wie das "von" nur ein Adels-Prädikat]. Schaffte man das hierzulande verbriefte Recht zum Führen des "Doktors" als Namenszusatz ab – man darf annehmen, dass die Zahl der Dissertationen, angeblich alle höherer wissenschaftlicher Qualifikation dienend, sich schlagartig erheblich verringerte.

Die sog. "Doktorväter" - darunter überforderte ebenso wie leichtfertige oder verblendete - müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie ihre betrügerischen Doktoranden nicht schon seinerzeit erkannt haben. Aber die Hochschulen bestehen zurecht auch auf einem Grundprinzip: die "universitas" von Lehrern und Studierenden muß, auf Gedeih oder Verderb, einander jene Wahrhaftigkeit in der gemeinsamen Arbeit eher emphatisch zuerkennen, als dass sie sie primär und permanent misstrauisch überwachte. Die akademische community war und ist ein Schauplatz von Macht, Ehrgeiz, Eitelkeit, Geltungsbedürfnis, Intrige, allen anderen menschlichen Schwächen. Aber sie bleibt eben auch ein wunderbarer Ort der gemeinsamen Lust am Suchen nach neuen Erkenntnissen. Diese Gemeinschaft ist verletzlich, weil sie mehr auf Vertrauen gegründet ist als auf Kontrolle. Im übrigen können Betrüger sich im akademischen Betrieb schon deshalb nur zu leicht tummeln, weil kaum ein Wissenschaftler noch sein eigenes Fachgebiet zu überblicken vermag.

Natürlich ist die moderne Universität längst in der Industriegesellschaft angekommen, produziert Dienstleistungen und Waren. Die Institution, die einmal im fast klösterlich strengen Medium von Ethos und Handwerk als Werk von wenigen gedieh, ist eine säkulare Fabrik der Massen geworden, nicht zuletzt auch Doktorfabrik. Und natürlich läßt sich schon lange nicht mehr verhindern, dass Wissenschaft käuflich wird: Erkenntnisse werden gekauft, Forschungsergebnisse bestellt, Gutachten bezahlt, akademische Grade "erworben", Professorentitel gegen Spenden verliehen. Insofern bereitet es mir eine winzige Genugtuung, dass mit der Überprüfung von Dissertationen durch die hochspezifische software von Computern der Warentest auch in einen Bereich eingeführt wird, dem Tauschwert eigentlich wesensfremd ist.

Annette Schavan, in Neuss aufgewachsen, ist der durch ihre stockkatholisch-erzkonservative Heimatstadt am Rhein vorgegebenen Spur von früh an zielstrebig gefolgt. Laufbahn in Kirche [Cusanuswerk, Generalvikariat Aachen etc.] und CDU [Junge Union, Bundesvorstand usw.] gehen innig Hand in Hand. Es fällt schwer, Schavans Erschleichung eines karrierefördernden Doktorgrads nicht mit jenem Macht- und Geltungsbedürfnis in Beziehung zu bringen, das ihr zuletzt den Posten einer Bundes-Bildungsministerin und den einer Theologie-Honorarprofessur eintrug.

Daß die "gläubige Katholikin" [so ihre Markenzeichen] zu Lug und Trug in der Lage ist, kann spätestens nach den Parteispendenskandalen ihrer Partei und den sog. Missbrauchsskandalen ihrer Kirche niemanden wirklich verwundern. Daß sowohl zu Guttenberg als auch sie von Christ-Demokraten seinerzeit ernsthaft als Kandidaten für die Vakanz im Bundespräsidialamt gehandelt wurden, spricht für sich selbst.

Stellen wir das Bild vom Ladendiebstahl auf die Füße! In der Universität gilt dasselbe wie in anderen gesellschaftlichen Sektoren auch: wir wollen weder betrügen noch betrogen werden. In der Wissenschaft darf es kein als "Mausen" verharmlostes Entwenden geben. Den zweibeinigen Katzen hänge man die Schelle um!

P.S. Inzwischen ist Frau Schavan zurückgetreten, selbstverständlich nur zum Wohle unseres Landes und weiterhin unter strikter Leugnung ihres Betrugs. Beflissen werden ihr, von Regierung wie Opposition, politische Verdienste nachgelogen, dass sich die Balken biegen. Karrieristen fallen weich - wir warten auf den nächsten Fall.



Jürgen Hofmann
Der Verfasser, Autor vieler Theaterstücke und Essays, arbeitete als Hochschullehrer an mehreren Universitäten und war zuletzt Leiter des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste.

Quelle: Rationalgalerie

Links:
07|02|2013: Doktortitel behalten, Amt aufgeben

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